Ein Unglück kommt selten allein
Jun. 26th, 2010 04:57 pm![[personal profile]](https://www.dreamwidth.org/img/silk/identity/user.png)
Ein Unglück kommt selten allein
von Mella
Jim Ellison und Blair Sandburg betraten das Fischspezialitätenrestaurant "The Black Cat" am Hafen von Cascade. Rafe, der in der Woche zuvor mit Bravour seine Detectiveprüfung bestanden hatte, hatte die beiden, Simon Banks und Joel Taggert in Erwartung seiner bevorstehenden Beförderung zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. Eigentlich sollte die kleine Feier in einem anderen Lokal stattfinden, aber dort hatte er keinen Tisch mehr bekommen.
Nachdem sie ihre Mäntel an der Garderobe abgegeben hatten begaben sie sich zu dem reservierten Tisch, an dem bereits die anderen auf sie warteten.
"Nettes Lokal," meinte Jim und warf einen kurzen Blick in die Runde.
"Ich hatte bisher noch nie von diesem Restaurant gehört, aber ein Kollege an der Uni hat es mir empfohlen, ganz besonders wenn man an Fischspezialitäten interessiert ist." gab Blair zurück, während er sich einen Stuhl zurückzog und an den Tisch setzte.
"Da ich anderswo keinen Tisch mehr bekommen habe, musste ich ja hierauf zurückgreifen." sagte Rafe mit einem Seufzer.
"Was haben Sie denn gegen dieses Restaurant einzuwenden?" fragte Simon Banks.
"Allein schon der Name. Das sagt doch schon alles. Man sollte eine Beförderung, die bisher noch gar nicht ausgesprochen wurde, nicht in einem Restaurant namens "The Black Cat" feiern. Das kann doch nur Unglück bringen."
"Seit wann bist du denn so abergläubisch? So kenne ich dich gar nicht", fragte Blair.
"Seit meine Freundin Linda ..."
"Linda? Oh, haben wir da was verpasst?" schmunzelte Jim.
"Ja, meine neue Freundin. Sie ist auf diesem Gebiet sehr bewandert. Sie weiß alles über Glücksbringer und Vorboten des Unglücks."
"Und was hat Ihre neue Freundin Linda über schwarze Katzen gesagt?" wollte Simon wissen.
"Sie hat mir wissenschaftliche Beweise und Tatsachenberichte gezeigt, aus denen hervorgeht, dass sich hinter all diesem Aberglauben doch ein Stückchen Wahrheit verbirgt."
"Diese sogenannten wissenschaftlichen Beweise sind reiner Unfug", versuchte Blair ihn zu beruhigen. "Es gibt zwar in vielen alten Kulturen Hinweise auf Aberglauben und dergleichen, wissenschaftlich bewiesen wurde so etwas aber noch nie. Und du kannst mir glauben, damit kenne ich mich aus."
Rafe schien aber noch nicht ganz überzeugt.
Simon erhob sein Glas und prostete Rafe zu. "Lassen Sie uns unsere Gläser erheben und Rafe zu seiner bestandenen Detectiveprüfung gratulieren. Cheers!"
Alle anderen erhoben ihre Gläser und prosteten dem leicht erröteten Rafe zu, der die Glückwünsche verlegen entgegennahm.
Nachdem Simon sich wieder gesetzt hatte, nahm er eine Zigarre aus seiner Jackentasche und meinte, "Eine kann ich mir ja vor dem Essen noch gönnen." Damit beugte er sich vor und zündete sich die Zigarre an der Kerze auf dem Tisch an.
"Captain!" erschallte ein empörter Ausruf von Rafe.
"Was?" Dem Captain wäre fast die Zigarre aus dem Mund gefallen. "Mann, haben Sie mich erschreckt. Was sollte das?" rief Simon aus.
"Wie können Sie so etwas tun?"
"Was denn tun?"
"Sich eine Zigarre an einer Kerze anzünden. Wissen Sie denn nicht, dass dann ein Seemann stirbt?"
"Welcher Seemann?" fragte Simon leicht verwirrt.
"Irgendein Seemann. Was weiß ich, welcher", gab Rafe zurück.
"Aber Rafe, schon wieder so ein abergläubischer Kram. So langsam reicht es," grinste Jim und hob seinen Arm, um nach einer Kellnerin zu winken.
Im nächsten Moment erschütterte eine Explosion das Restaurant. Die Gläser auf den Tischen fielen um und zerbarsten. Mit einer blitzschnellen Reaktion warf sich Jim unter den Tisch und zog auch Blair und Rafe, die neben ihm gesessen hatten, zu sich hinunter.
Kurz danach war es wieder still. Von draußen hallte lautes Geschrei zu ihnen hinein. Jim, Simon und Rafe waren die ersten, die sich wieder bewegten und zur Tür liefen. Kurz darauf erschienen auch Blair und Joel, die sich erst von einigen Splittern gesäubert hatten.
"Was ...?" wollte Blair fragen, konnte aber sofort erkennen, was passiert war. Vor ihm am Anlegekai lag eine circa 20 m lange Luxusjacht. Aus den hinteren Bullaugen loderten Flammen und Rauch stieg aus den oberen Öffnungen.
Jim und Rafe rannten zu der Jacht, sprangen an Bord und versuchten zu retten, was noch zu retten war. Jim rannte blitzschnell die Leitern im Inneren der Jacht hinunter, griff sich von einer Wand einen Feuerlöscher und betrat die Kombüse, in der das Feuer ausgebrochen war. Rafe, der kurz hinter ihm war, schnappte sich eine Decke von einer Bank und versuchte, damit die Flammen zu ersticken. Immer wieder stoben Funken empor und setzen neue Bereiche in Brand. Nach einigen endlosen Minuten war es den beiden dann endlich gelungen, das Feuer zu löschen.
Jim konnte trotz seiner Sentinelsinne kaum etwas in der rauchgeschwängerten Kombüse erkennen. Seine Sinne waren durch den starken Rauch und die Hitze ziemlich überlastet. Es war Zeit, dass er an die frische Luft kam.
"Los, Rafe, raus hier. Ich kriege kaum noch Luft." Damit stieß er den vor ihm stehenden Rafe in den Rücken. Rafe stolperte einige Schritte vorwärts und stieß mit seinem Ellbogen gegen einen Spiegel, auf dem sich sofort unzählige Risse zeigten.
Mit Entsetzen blickte Rafe auf den zerbrochenen Spiegel und konnte es nicht fassen. Das bedeutete sieben Jahre Pech.
"Das war's dann wohl."
"Was?"
"Na, mit meiner Beförderung. Ich den nächsten sieben Jahren wohl nicht mehr."
"Rafe, reden Sie kein dummes Zeug. Los, raus hier." keuchte Jim, dem die Luft wegblieb.
Derweil standen Blair und Simon an der Hafenmauer und hofften, dass ihren Kollegen nichts passiert war. Simon hatte Blair gerade noch zurückreißen können, als der seinem Partner auf das Schiff folgen wollte.
"Sie bleiben hier, Sandburg! Joel, rufen Sie die Feuerwehr.", befahl Simon mit strenger Stimme.
Erschöpft und mit Asche beschmutzt kamen Jim und Rafe wieder aus dem Innern der Jacht hervor.
Erleichtert stieß Blair seinen angehaltenen Atem aus. Gott sei Dank, Jim und Rafe waren in Ordnung. Im nächsten Moment konnten sie auch schon die Sirenen der herannahenden Feuerwehrfahrzeuge hören. Jim lehnte sich erschöpft gegen einen Laternenmasten und hustete sich die Seele aus dem Leib. Ebenso erging es Rafe, der sich einfach auf den Boden gesetzt hatte.
Schnell rannte Blair zurück ins Restaurant und holte einen Krug Wasser und zwei Gläser, die er seinen leicht lädierten Kollegen reichte.
"Danke.", krächzte Jim. Er hob seinen Kopf, als er merkte, dass ein Feuerwehrmann auf ihn zukam.
"Haben Sie das Feuer gelöscht?" fragt dieser ihn.
"Ja, wir waren Gott sei Dank schnell da, bevor Schlimmeres passieren konnte," antwortete Jim und musste anschließend wieder husten.
"Leider nicht schnell genug," meinte der Feuerwehrmann. "Wir haben in der verbrannten Kombüse hinter dem Schrank eine Leiche gefunden. Nach der Kleidung zu urteilen handelt es sich um einen Matrosen von der Jacht. Die genaue Todesursache konnten wir noch nicht feststellen. Darum wird sich der Gerichtsmediziner kümmern müssen."
Wie auf Kommando schauten alle auf Rafe, der mit bleichem Gesicht und leicht geschocktem Ausdruck zu Simon blickte.
Nach zwei Stunden war der Tatort vom Spurensicherungsteam untersucht worden. Jim hatte sich inzwischen mit Hilfe einer Sauerstoffmaske des Ambulanzteams soweit erholt, dass er selber noch einmal auf die Jacht gehen wollte, um nach weiteren Anhaltspunkten zu suchen, die nur er mit seinen außergewöhnlichen Sinnen erkennen konnte.
Der zuständige Brandermittler des Cascade Firedepartments kam mit einer völlig zerfetzten Maschine auf ihn zu.
"Was haben Sie da?" fragte Jim mit einem Blick auf das verkohlte Etwas.
"Das sind die Reste von dem, was früher mal eine Eismaschine war. Allen Anschein nach hat es einen Kabelbrand gegeben und in der Maschine gab es einen Kurzschluss. Durch die auslaufende Kühlflüssigkeit muss es dann zu der Explosion gekommen sein. Wahrscheinlich hatte sich der Matrose gerade an der Eismaschine zu schaffen gemacht, denn die Verletzungen im Brustraum deuten darauf hin, dass er frontal von einigen Splittern der Maschine getroffen wurde. Einer dieser Splitter muss ihn unglücklich an der Halsschlagader getroffen haben, denn er war nach Ansicht des Gerichtsmediziners sofort tot."
"Oh, Gott, das ist alles nur meine Schuld", rief Rafe aus. "Wenn ich den Captain nur davon abgehalten hätte, sich die Zigarre ..."
"Rafe, reißen Sie sich zusammen", wies Jim ihn zurecht. "Sie gehen jetzt nach Hause und ruhen sich aus. Sandburg und ich werden die Ermittlungen hier weiter leiten."
Zusammen mit Blair betrat Jim die Jacht. Auch jetzt noch war der Brandgeruch so stark, dass er ihn fast überwältigt hätte.
Blair merkte, dass Jim Probleme hatte seine Sinne auszurichten und sich zu konzentrieren.
"Ich bin bei Ihnen, Jim", versicherte er ihm. "Versuchen Sie, die erkennbaren Gerüche auszuschalten und sich auf das zu konzentrieren, was wir anderen nicht riechen können."
Jim schloss seine Augen und ließ seine Sinne schweifen. Da waren Gerüche vom letzten Abendessen, hmm lecker, Spaghetti a la Carbonara ... und Alkoholgerüche, Sekt und teurer Champagner. Weiter konnte er den beißenden, kupfernen Geruch von Blut ausmachen, das wohl von dem getöteten Matrosen stammte. Doch so sehr er sich auch konzentrierte war sonst nichts außergewöhnliches festzustellen, keine Benzin- oder Kerosingerüche, geschweige denn Sprengstoff. Nur ein leichter Duft von verbranntem Kunststoff, der aber von den verschmorten Kabeln der Eismaschine stammte. Mit einem Lächeln registrierte er auch den sauren Duft von Zitronen.
Er riss sich zusammen und öffnete seine Augen. Na, kein Wunder, die Wand klebte ja von den Resten von Zitroneneis, das natürlich von dem Feuer geschmolzen war und nun langsam die Wände heruntertropfte.
"Hier ist nichts, was auf ein Verbrechen schließen ließe", sagte er schließlich. "Los, Häuptling, lassen Sie uns nach Hause fahren, damit ich endlich aus diesen Klamotten rauskomme."
Blair, der die Handlungen seine Sentinels genau beobachtet hatte und außerdem dafür gesorgt hatte, dass niemand sie dabei beobachten konnte, wandte sich in Richtung Ausgang. Selbst für seinen vergleichsweise bescheidenen Geruchssinn war der Gestank betäubend. Er war froh, dass er wieder an die frische Luft kam.
Wieder an Land trafen sie auf Simon Banks und Joel Taggert, die sich noch mit dem Ermittlungsbeamten des Cascade Firedepartments unterhielten. Rafe stand etwas abseits und starrte vor sich hin. Scheinbar war er immer noch nicht darüber hinweg gekommen, dass ein Seemann gestorben war, obwohl ihm alle versichert hatte, dass es nichts mit der Zigarre des Captains zu tun hatte.
Blair ging auf ihn zu und versuchte ihn dazu zu bewegen, nach Hause zu fahren. Doch Rafe war so geschockt, dass es Blair nach kurzer Überlegung sicherer schien, ihn in dessem Wagen nach Hause zu bringen.
"Jim, können Sie mit dem Pickup hinter uns her fahren? Ich bringe Rafe zu seiner Wohnung und dann können Sie mich aufnehmen. Ich denke, es ist besser, wenn Rafe nicht selber fährt."
"Okay, Häuptling. Ich spreche nur noch kurz mit Simon und komme dann hinterher," antwortete Jim.
Blair wandte sich an Rafe und führte ihn zu dessen Wagen. Rafe reichte Blair seine Wagenschlüssel, bevor er auf der Beifahrerseite Platz nahm.
"Danke, Blair. Ich komme einfach nicht aus dem Zittern raus. Erst das mit dem Brand, dann noch der zerbrochene Spiegel. Jetzt fehlt nur noch, dass eine schwarze Katze ..." Ihm blieb fast das Wort im Halse stecken, als er mit weitaufgerissenen Augen auf die Straße starrte. "Arrh! Stop!" schrie er so laut, dass Blair vor Schreck auf die Bremse trat und der Wagen mit einem leichten Hopser zum Stehen kam.
"Bist du verrückt, oder was?" schrie Blair ihn an. "Was ist denn jetzt schon wieder?"
"Eine schwarze Katze, da ..." keuchte Rafe und deutete mit dem Finger auf etwas in der Dunkelheit.
Nach einigem Blinzeln konnte Blair im Licht der Straßenlaterne etwas sehen. Er grinste, als er einen älteren Herrn mit einem Pudel an der Leine erkannte.
"Das ist nur ein Hund", versuchte er Rafe zu beruhigen. Doch Rafe war kaum noch zu beruhigen. Mit abwechselnden Blick auf seinen Freund und auf die Straße fuhr Blair zu Rafe's Wohnung in der Judsonstreet. Kaum, dass er am Straßenrand geparkt hatte, sprang Rafe aus dem Wagen und rannte die Treppe zu seiner Wohnung hinauf. Blair folgte ihm so schnell er konnte und reichte ihm die Schlüssel, damit Rafe die Wohnungstür aufschließen konnte. Mit einem kurzen "Danke" drehte sich Rafe noch einmal zu ihm um und verschloss dann vor dem verdutzten Blair die Tür.
Nachdenklich ging Blair die Treppen zur Straße hinunter. So konfus hatte er seinen Freund bisher noch nie erlebt. Bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, hielt Jims weiß-blauer Pickup vor ihm und er stieg ein. Müde und schweigend fuhren sie zum Loft zurück.
Als Blair am nächsten Morgen erwachte zog schon der Duft von frisch aufgebrühten Kaffee durch das Loft und vertrieb den leichten Brandgeruch, den er immer noch in der Nase hatte.
Leicht verschlafen setzte er sich auf und stellte die Füße vor das Bett. Plötzlich musste er grinsen. Wenn Rafe jetzt mitbekommen hätte, dass er mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden war, hätte er bestimmt schon wieder eine passende abergläubische Redewendung parat.
Gut gelaunt zog er sich an und wischte mit einem kurzen "Guten Morgen" an Jim vorbei ins Badezimmer. Heute war Samstag und Jim und er hatten zwei Tage frei. Was man so frei nennen konnte. Blair musste noch Arbeiten von der Universität nachschauen und Jim wollte einen kurzen Bericht über das gestrige Feuer schreiben.
"Guten Morgen, Häuptling," rief Jim ihm mit leicht rauchiger Stimme nach. Der starke Qualm hatte seinen Stimmbändern doch etwas zugesetzt.
"Gestern alles gut überstanden?" fragte Jim, als Blair sich nach einigen Minuten an den Frühstückstisch setzte.
"Klar, bestens, und Sie?" antwortete Blair mit einem kurzen Kopfnicken, während er sich Milch und Müsli in eine Schüssel schüttete.
"Der Hals ist noch etwas rau und die Stimme krächzt noch etwas. Aber sonst geht's gut", gab Jim lächelnd zurück.
"Vielleicht sollten wir heute mal nach Rafe schauen. Er war gestern Abend so merkwürdig", meinte Blair Müsli kauend. "Und als er dann auch noch glaubte, auf der Straße eine schwarze Katze gesehen zu haben, die sich dann als Pudel entpuppte, war es ganz mit ihm vorbei. Er ist nur noch in seine Wohnung gerannt und hat mich vor der Tür stehen lassen."
"So abergläubisch war er doch früher nicht, oder?" wollte Jim wissen.
"Nein, scheinbar erst, seit er diese neue Freundin hat", antwortete Blair.
"Sie haben Recht, wir fahren nachher mal zu ihm und schauen nach, wie es ihm geht."
Gegen Mittag hatte Blair seine Seminararbeiten berichtigt. Auch Jim hatte einen Bericht über die Ereignisse vom Vortag geschrieben.
Gemeinsam fuhren sie mit Jims Pickup zu Rafes Wohnung und klingelten an der Wohnungstür. Nach etlichen Minuten, Jim hatte inzwischen schon mehrfach auf den Klingelknopf gedrückt, öffnete ihnen ein ziemlich zerzauster Rafe. Dem Geruch nach zu urteilen, hatte er seit dem gestrigen Abend noch nicht geduscht. Dem müden Ausdruck in seinen Augen nach zu schließen, hatte er es aber auch noch nicht geschafft, sich auszuruhen und zu schlafen.
"Sandburg! Ellison! Was wollt ihr denn hier?" kam es leise von Rafe.
"Wir wollten sehen, wie es dir geht, Rafe," antwortete Blair. "Scheinbar hatten wir völlig Recht, dass du die Ereignisse von gestern Abend nicht so gut verkraftet hast."
Rafe wollte die Tür zuschmeißen, doch Jim konnte noch schnell einen Fuß in die Tür stellen.
"Rafe, was ist los?" fragte er mit strengem Blick.
"Ellison, Sie haben es doch selber mitbekommen. Erst die Sache mit der Zigarre, wodurch ein Seemann gestorben ist. Dann noch der zerbrochene Spiegel und die schwarze Katze ..."
"... die gar keine war", vollendete Blair den Satz. "Komm schon, du hast doch früher nicht an solche Sachen geglaubt."
"Lasst mich einfach in Ruhe, sonst bekommt ihr noch was von meinem Pech ab." Diesmal gelang es ihm, den beiden die Tür vor der Nase zuzuknallen. Leicht irritiert schauten Blair und Jim sich an.
"Und jetzt?" wollte Jim wissen.
"Jetzt hilft nur noch Magie und Aberglaube", gab Blair mit einem geheimnisvollen Lächeln zurück.
Zurück im Loft ging Blair schnurstracks zum Küchenschrank und wühlte in den Zutaten für seine ganz speziellen Speisen, an denen Jim meistens kein Interesse zeigte, da sie hauptsächlich aus Kräutern und eigenartigen Gewürzen bestanden, die ihm nicht schmeckten.
Triumphierend hielt Blair schließlich ein kleines Tütchen hoch.
"Kressesamen?" entzifferte Jim die kleine Schrift auf der Tüte. "Wozu soll das denn gut sein?"
"Aberglaube kann man nur mit Aberglaube bekämpfen. Glauben Sie mir, da kenne ich mich aus. Wir können Rafe mit logischem Denken nicht davon überzeugen, dass das alles Humbug und Zufall ist. Also müssen wir ihn mit anderen Mitteln überzeugen, dass seine Pechsträhne vorbei ist."
Blair legte das Tütchen auf den Küchentisch und lief in sein Schlafzimmer. Jim konnte hören, wie er mehrere schwere Bücher auf sein Bett warf und darin herumblätterte. Nach einer Viertelstunde hörte er einen Aufschrei aus dem Zimmer und Blair kam herausgelaufen und hielt frohlockend ein schweres Buch im Arm.
"Hier. Ich hab's gefunden. Der Iniuka-Stamm vom unterem Rio Paraná im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Paraguay ist ein sehr abergläubisches Volk. Sie glauben zwar nicht an die gleichen Unglücksvorboten wie wir, jedoch glauben sie, dass ein Unglück abgewendet werden kann, wenn ein bestimmtes Ritual zelebriert wird. Eigentlich brauche ich dazu den Samen einer bestimmten Pflanze, die es nur am Rio Paraná gibt, aber ..." damit riss er das Tütchen Kressesamen auf und schüttete den Inhalt auf den Küchentisch "... Rafe braucht ja nicht alles zu wissen." Mit einem Grinsen schob er mit dem Handballen den Kressesamen zusammen und füllte ihn über den Rand des Küchentisches in eine kleine Glasdose mit Schraubdeckel.
Zum wiederholten Male klopfte Blair an Rafe's Wohnungstür. Auch nach mehrmaligem Klingeln hatte Rafe nicht geantwortet. Doch Jim, der hinter ihm stand, hatte ihm versichert, dass Rafe da war, denn er konnte dessen Herzschlag und die Atemgeräusche hören.
"Rafe, öffne die Tür. Wir wollen dir doch bloß helfen." Blair wurde langsam ungeduldig.
"Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt mich in Ruhe lassen," kam endlich die leise Antwort aus der Wohnung.
"Ich habe in einem meiner Bücher etwas gefunden, dass dir helfen kann," versuchte Blair es noch einmal. "Ich selber habe so etwas noch nicht versucht, aber es ist ein Ritual eines alten Indianerstammes."
Langsam drehte sich der Türknopf und die Tür wurde von innen geöffnet. Jedoch war die Kette vorgehängt, so dass sie nicht eintreten konnten. Blair öffnete schnell das Buch und merkte sich die Seite. Dann schlug er es zu und schob es durch den geöffneten Spalt.
"Hier, lies selber. Auf Seite 118 kannst du es nachlesen. Ich habe die Zutaten für dieses Ritual extra an der Uni besorgt. War gar nicht so einfach, da ranzukommen." Dabei winkte er mit der kleinen Glasdose durch den Türspalt, damit Rafe sie auch sehen konnte. Zum Glück konnte Rafe nicht sehen, dass er beim Lügden rot wurde.
Nach scheinbar endlosen Minuten wurde das Buch in die Wohnung gezogen und Jim bestätigte mit einem Kopfnicken, dass Rafe scheinbar darin blätterte. Schließlich hörten sie, wie die Kette weggenommen wurde. Jim schob die Tür auf und sie traten langsam ein.
Rafe sah inzwischen ganz manierlich aus, seine Haare waren noch feucht vom Duschen und er hatte frische Kleidung an. Er hielt mit der einen Hand Blairs Buch und blätterte mit der anderen darin herum. Schließlich hatte er den Artikel auf Seite 118 gefunden und las ihn interessiert.
"Bist du dir auch sicher, dass das funktioniert?" fragte er schließlich Blair mit einem forschenden Blick.
"Wie gesagt, selber ausprobiert habe ich es noch nicht. Aber schließlich muss ich doch an das glauben, was ich an der Universität den Studenten lehre," gab Blair zu bedenken. Jim warf ihm dabei ein kurzes Grinsen zu, das Rafe zum Glück nicht sah.
"Aber du hast doch selbst gesagt, dass das alles nur Aberglaube sei", sagte Rafe.
Blair schüttelte den Kopf. "Ich habe gesagt, dass die angeblichen wissenschaftlichen Beweise nicht echt sind. Denn wissenschaftlich beweisen kann man so etwas nicht. Doch es gibt vieles auf der Welt und ich habe auf meinen Studienreisen schon so einiges erlebt, was nicht mit der Wissenschaft in Einklang steht. Es sollte dir einen Versuch wert sein."
Gemeinsam steckten Blair und Rafe ihre Nasen in das Buch und lasen den entsprechenden Artikel über den Iniuka-Stamm. Danach verbrachten die Indianer bei Vollmond eine Nacht auf einem Polster von Gräsern der nur am Rio Paraná wachsenden Stipaichupflanze, deren leichter Geruch die unglückverursachenden Geister abhalten und positive Energie auf die vom Unglück Heimgesuchten übertragen sollte.
"Na dann, lasst es uns versuchen," meinte ein schon etwas glücklicher dreinschauender Rafe.
"Leider muss ich dich enttäuschen." meinte Blair. "Das geht heute nicht. Wie du gelesen hast, müssen wir schon eine Vollmondnacht abwarten. Aber zum Glück ist Morgen die nächste Vollmondnacht. Und außerdem müssen wir ja auch noch den Samen zum Keimen bringen. Doch das geht relativ schnell. Ich habe da auch schon so meine Vorstellungen."
Gemeinsam machten sie sich an die Arbeit und breiteten eine Wolldecke auf dem Küchenboden aus und tränkten sie intensiv mit Wasser. Dann streute Blair den angeblichen Stipaichu-Samen auf der Decke aus und stellte die Heizung extrem hoch ein, um ein subtropisches Klima in der Küche herzustellen.
"Du musst die Decke alle zwei Stunden wieder mit Wasser bestäuben, damit der Samen auch feucht bleibt und gut treibt. Morgen früh solltest du schon die ersten Keimlinge sehen können," belehrte Blair Rafe. "Und du solltest die Nacht über die Küchenlampe brennen lassen, damit auch genügend Licht auf die Keimlinge fällt."
Rafe war mit vollem Eifer bei der Sache. Jetzt konnten Blair und Jim nur noch hoffen, dass er den morgigen Sonntag auch noch heil überstehen würde, doch der erste Schritt war getan.
Am Montag Morgen kam ihnen im Büro ein gelöster und strahlender Rafe entgegen. In der Hand hielt er einen Umschlag und winkte ihnen damit zu.
"Es hat funktioniert. Meine Pechsträhne ist vorbei. Hier ist die Bestätigung meiner Beförderung, die heute Morgen auf meinem Schreibtisch lag." Rafe grinste von einem Ohr zum anderen.
Plötzlich konnte Jim nicht mehr an sich halten und fing herzlich an zu lachen. Auch Blair grinste Rafe an und meinte, zu Jim schauend "Sollen wir's ihm sagen?"
"Was wollt ihr mir sagen?" fragte Rafe und blickte von einem zum anderen.
"Ich glaube, ich muss dir etwas beichten", erklärte Blair. "Du hast am Samstag so niedergeschlagen ausgesehen, dass wir einfach etwas unternehmen mussten. Da wir mit logischen Denken bei dir nichts ausrichten konnten blieb uns nur dieser Weg. Ich muss dir leider gestehen, dass du auf deinem Küchenfußboden ein Kressefeld hast keimen lassen."
"Kresse? Willst du mir etwa sagen, dass ich eine unbequeme Nacht auf Kresse verbracht haben?" entrüstete sich Rafe.
"Hat doch gewirkt, oder? Deine Ängste vor dem abergläubischen Unglückskram sind verschwunden", gab Blair als Antwort.
"Na toll, und was mache ich jetzt mit dem Kressefeld?"
"Ich kenne da noch ein tolles Salatrezept von einem Indianerstamm aus ..." Weiter kam Blair nicht, da Rafe sich auf ihn stürzen wollte und er das Weite suchen musste.
Ende